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16.04.2024

Unbegleitete Minderjährige aus dem Ausland: Anspruch auf Verfahrensbeistand bereits während Altersfeststellung

Ein unbegleitet eingereister Ausländer, der in Deutschland Asyl beantragen will und angibt, minderjährig zu sein, muss einen Verfahrensbeistand bekommen, wenn bei ihm eine Altersfeststellung durchgeführt wird. Dies ergibt sich aus EU-Recht, wie der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg entschieden hat.

Die Stadt Freiburg hatte einen Ausländer im zugrunde liegenden Fall aufgrund seiner Angaben vorläufig in Obhut genommen und in einer für Minderjährige geeigneten Einrichtung untergebracht. Das Jugendamt zweifelte jedoch an seiner Minderjährigkeit und führte ein Altersfeststellungsverfahren durch. Dabei kam es zu dem Ergebnis, dass der Eingereiste volljährig sei. In der Folge beendete die Stadt seine vorläufige Inobhutnahme.

Der Betroffene begehrte vorläufigen Rechtsschutz. Das VG gab seinem Antrag statt. Die Beendigung der vorläufigen Inobhutnahme sei rechtsfehlerhaft, weil dem Ausländer kein Verfahrensbeistand bestellt worden sei. Die Stadt Freiburg meinte, dies sei nicht erforderlich gewesen. Das Jugendamt, das über das Alter und die damit verbundene vorläufige Inobhutnahme entscheide, wahre zugleich die Interessen des Betroffenen.

Laut VGH ergibt sich die Pflicht zur Bestellung eines Verfahrensbeistands dagegen aus der EU-Aufnahmerichtlinie. Diese gelte immer dann, wenn ein Asylgesuch im Raum stehe und der betroffene unbegleitete Ausländer vertretbar behaupte, er sei minderjährig und das nicht offensichtlich ausgeschlossen sei. Dies diene der Wahrung des Kindeswohls.

Die Altersfeststellung sei insbesondere für eine kindgerechte Unterbringung maßgeblich. Nur wenn der potenziell Minderjährige bereits bei der Altersfeststellung in der Lage sei, dem Verfahren zu folgen und seine Belange geltend zu machen, sei das Kindeswohl hinreichend gewahrt. Zudem müsse gesichert sein, dass der potenziell Minderjährige sich gegen die Beendigung der vorläufigen Inobhutnahme zur Wehr setzen und gerichtlichen (vorläufigen) Rechtsschutz beantragen könne, wenn gerade die Minderjährigkeit umstritten sei.

Der deutsche Gesetzgeber habe diese unionsrechtliche Verpflichtung zum Schutz des Kindeswohls nicht umgesetzt. Deshalb sei die EU-Aufnahmerichtlinie unmittelbar anwendbar. Eine Vertretung des Minderjährigen durch das Jugendamt, das selbst für die Altersfeststellung zuständig sei, sei nicht geeignet, um sicherzustellen, dass die Interessen des (möglicherweise) Minderjährigen hinreichend gewahrt werden.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.04.2024, 12 S 77/24, unanfechtbar